Nur wohre Liebe un dä Duud sinn endjüldisch un absolut

BAP – Westfalenhalle 1, Dortmund; 15. November 2016

“Keiner weiß, wie lang‘ die Deiche hahle
un ab wann mir Zins un Zinseszins bezahle.
Viel zu lange ha‘m wir alle akzeptiert,
dass man Fakten einfach ignoriert.
Schulterzuckend, su als ob nix wöhr,
wegluhrt un verdrängk un resigniert.”

Wie eine Reise durch Absurdistan konnte einem die letzte Woche wahrlich vorkommen – ein böser Traum, aus dem es leider die nächsten vier Jahre kein Erwachen geben wird. In solchen Tagen konnte ich wirklich gute ein wenig Hoffnung brauchen, ein wenig Ablenkung auch und einfach das Gefühl mit meiner Angst und meiner Wut nicht alleine zu sein. Irgendwie waren BAP immer dann da, wenn die Welt aus den Fugen geraten schien, ob im ersten Golfkrieg unter Busch oder eben nach der Wahl von Donald Trump. Auch gestern Abend taten sie genau das, was ich von ihnen erhofft hatte: sie kommentierten durch wenige Worte, aber mit genau passenden Liedern und gaben jeder und jedem von uns einen Auftrag: “Arsch huh, Zäng ussenander!” Vielleicht haben sie damit der einen oder dem anderen wieder Mut gemacht, den Kopf eben nicht in den Sand zu stecken. Einen schönen Abend bereitet haben sie uns allemal und wer diese Lieder hören und mitsingen kann, ohne über die Inhalte nachzudenken, dem ist sowieso nicht zu helfen. Für mich war und ist BAP eine Band, die auch politisch ist, die sich äußert du keine Angst davor hat, unbequem zu sein. Schon immer sprechen sie mir aus dem Herzen, genauso wie sie meinen Kopf ansprechen. Heute noch so wie bei meinem ersten Konzert 1989.

Die Anreise war gemütlich an diesem Abend, es gab Sitzplätze, die ich vor Jahren noch abgelehnt hätte, aber jetzt doch ganz bequem fand. Da es auch noch ein Konzert zu Hause war, kam ich schnell am Veranstaltungsort an und vertrieb mir die Wartezeit mit der suche nach bekannten Gesichter. Ich fand keine, sah aber viele Menschen, die sich genauso auf das Konzert freuten wie ich. Es würde sicher gut werden.

Koot nach Aach war es dann auch so weit und die Band betrat die Bühne. Mit ‘Frau ich freu mich ging’s los’ und ich sang schon mit bevor mein Gehirn noch den Titel des Songs gefunden hatte. Lieder, die ich vor 20 Jahren auswendig gelernt habe, vergesse ich fast nie. 🙂 Wolfgang schaute in die Runde und ich bilde mir ein, dass sein Blick dabei kurz an mir hängen blieb, aber er kann genauso gut jemanden neben oder hinter mir angeschaut haben. Die Zeiten, als ich unheilbar zehn und mehr Konzerte pro Tour besuchte haben sich ja schon seit einer Weile geändert. Wie dem auch sei, ich lächelte, sang und freute mich, einfach dort sein zu dürfen. ‘Ne schöne Jrooß’ sprach mir immer noch aus der Seele und für die nächsten drei Stunden ließ ich mich von der Musik tragen.

Wolfgang begrüßte uns mit einer Anmerkung über die etwas zu groß geratene Halle, die in Teilen abgehängt war. Werner habe vorgeschlagen “Ich hatte die Halle größer in Erinnerung”. 😉 Im nächsten Song ginge es um Fußball, Musik und die Pubertät, da war ‘Nix wie bessher’ und weiter ging’s mit Klassikern und neuen Stücken. Schon nach den ersten beiden Liedern wollte ich aufspringen, beherrschte mich aber noch, bis der erste in meiner Sitzreihe stand. Witzigerweise taten es mir dann viele gleich und bei ‘Aff un zo’ stand der Saal. Wolfgang witzelte, dass der nächste Song wieder ruhiger sei, wo wir doch grad so schön stünden. Wir könnten natürlich auch stehen bleiben, er sei ja kein Turnlehrer. 😉 Überhaupt war er gut gelaunt und streute auch so manche Anekdote ein, so auch die Geschichte vom Vollkasko-Desperado, bei dem er sich nach Abholen des obligatorischen Selfies und der Aussage das letzte Album habe er in den 80ern gekauft dann “vorkam wie ein Hirschgeweih”. Zwischendurch hatte ich auch hin und wieder das Gefühlt, er schaut, ob ich mitsinge, was ich auch meistens tat, aber das war sicher nur Einbildung meinerseits.

Dennoch war der Abend nicht nur Spass, es gab auch nachdenkliche Töne: “Wenn man merkt das alles relativ ist, ist man erwachsen” und auch ernste Worte darüber, dass er beim Schreiben von Absurdistan vor ca. einem Jahr sicher nicht geglaubt hatte ein Trump könne die Wahl gewinnen, das sei unfassbar. Spätestens bei ‘Vision von Europa’ und ‘Diego Paz wohr nüngzehn’ zeigte sich dann auch wieder, dass diese Band nach wie vor politisch ist, aber wer dass nicht weiss, der kann auch seit Jahren nicht mehr zugehört haben. Natürlich kamen auch die Rocksongs und Liebeslieder nicht zu kurz, es war einabwechslungsreiches Programm.

Im Block der “ruhigen Lieder im Sitzen” wurde zunächst bei “Jraduss” sehr schön und natürlich ohne G (“Im Kölschen jittet kein G”) mitgesungen. Danach sagte Wolfgang an, es sei eine Scheißwoche gewesen ind der dann auch noch Leonard Cohen verstorben sei, einer seiner ganz großen Vorbilder. Genau wie ich es erhofft hatte spielten sie ihm zu Ehren ‘Wat schriev mer in su enem Fall’, ihr cover von ‘Famous Blue Raincoat’ und mir kamen nicht zum ersten Mal an diesem Abend die Tränen. Mit zwei Liebesliedern und Fans, die sich vor der ersten Reihe zum Zuhören hinhockten, endete der Block und ging in das heute noch aktuelle ‘Kristallnaach’ über. Auch nach 35 Jahren hat das Lied nichts an Kraft engebüßt und ist leider auch immer noch wichtig. ‘Arsch huh, Zäng ussenander’ gab dann auch gleich eine Idee mit, wie man sich verhalten kann, lautstarkt mitgesungen. Nach lauter wurde der Chor natürlich bei ‘Verdamp lang her’ und ich konnte kaum glauben, dass schon über zwei Stunden vergangen waren, als die Band die Bühne verließ. Der Song ließ mich im Gedanken abschweifen zu einem leider viel zu früh verstorbenen väterlichen Freund, auf den diese Zeilen plötzlich passten.

Im Zugabenteil hörten wir erst, dass wir uns die Freude am Leben nicht nehmen lassen sollten und dann fand ich mich gedanklich in der Welt von Alexandra wieder und musste ein wenig über mich selbst lachen. Manchmal ist es gut, sich in ungewohnten Liedern zu erkennen. ‘Amerika’ hätte man ohne den Kontext in dem es vor 20 Jahren geschrieben wurde und ohne Berücksichigung der Zeit von der es handelt, fast schon als zynisch deuten können. “Jeder glisch” und “do kräät jeder sing Chance” ist in dem Land sicher schon lange nicht mehr wahr. Bei ‘Stell Dir vüür’ rechnete ich schon mit einer Umdichtung des Textes, aber das passierte nicht. War aber auch im Original gerne gehört.

Zum Abschluss durfte ich mich noch über ‘Rita mir zwei’ freuen und dann gedanklich mit ‘Noh all denne Johre’ über den Rhein schiffern und dabei über meinen eigene Wanderlust und Rastlosigkeit nachdenken. Ein schöner Abschluss, ein schöner Abend und auch schön zu wissen, dass ich das in diesem Jahr in Köln noch einmal werde erleben dürfen. 🙂

Setliste:

Frau, ich freu mich
Ne schöne Jrooß
Nix wie bessher
Anna
Fortsetzung folgt
Aff un zo
Die Ballade vom Vollkasko-Desperado
Alles relativ
Absurdistan
Vision von Europa
Diego Paz wohr nüngzehn
Unger Krahnebäume
Dausende vun Liebesleedern
Jraaduss
Wat schriev mer in su enem Fall
Paar Daach fröher
Do kanns zaubere
Kristallnaach
Arsch huh, Zäng ussenander
Verdamp lang her

Dä Herrjott meint et joot met mir
Halv su wild
Alexandra, nit nur do

Amerika
Jupp
Stell dur vüür

Rita, mir zwei
Noh all dänne Johre

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